Wochenende

Lied des Einsiedels

Wie seltsam hat sich dies gewendet, 
 Daß aller Wege wirrer Sinn 
 Vor dieser schmalen Tür geendet 
 Und ich dabei so selig bin!

Der stummen Sterne reine Nähe 
 Weht mich mit ihrem Zauber an 
 Und hat der Erde Lust und Wehe 
 Von meinen Stunden abgetan.

Der süße Atem meiner Geige 
 Füllt nun mit Gnade mein Gemach, 
 Und so ich mich dem Abend neige, 
 Wird Gottes Stimme in mir wach.

Wie seltsam hat sich dies gewendet, 
 Daß aller Wege wirrer Sinn 
 Vor dieser schmalen Tür geendet 
 Und ich dabei so selig bin,

Und von der Welt nur dies begehre, 
 Die weißen Wolken anzusehn, 
 Die lächelnd, über Schmerz und Schwere, 
 Von Gott hin zu den Menschen gehn.

von Stefan Zweig
(* 1881-11-28, † 1942-02-23)

Barcelona,Spanien

Fahrten

Noch immer hat kein liebes Band
Mich angeschmiegt an stillen Sinn,
Noch wird mir Heimat jedes Land,
Dem ich gerad zu Gaste bin.

Den hellen Straßen geh ich nach
Wie Staub, der nach den Rädern rennt,
Gern rastend unter einem Dach,
Wo nicht ein Herz das meine kennt.

Landfahrer ward ich mit dem Wind
Und des Gedenkens ganz entwöhnt,
Daß mir daheim noch Freunde sind,
Die ich mir einst als Glück ersehnt,

Ein Träumer in die runde Welt,
Der wegwärtswandernd schon vergißt,
Wohin der eigne Sinn ihn schnellt
Und wo sein Herz zu Hause ist.

Ein Wandrer, der zwei Fremden
Und keine Heimat hat.

von Stefan Zweig

(* 28. November 1881 in Wien, Österreich-Ungarn; † 23. Februar1942 in Petrópolis, Bundesstaat Rio de Janeiro, Brasilien) 

Barcelona,Spanien

Nächte am Comersee

Von diesen Nächten, den sternelichtklaren
– Herz mit deinem ruhlosen Schritt! –
Was nimmst du von diesen wunderbaren
 Nächten auf deine Wege mit?

Was du empfandest, wenn rings in der Schale
 Des Teiches das Silber überschwoll
 Und tief bis in die ruhenden Tale
 Ein Strom von zitternden Sternen quoll?

Kann das verschatten, wie über dem Hügel
 Weiße Blende in Nacht verging,
 Wenn sich bläulich der eilende Flügel
 Einer Wolke dem Mond umhing?

Kann das verwehn, wie die schweigsamen stillen
 Blumen, die ihr heißes Gebet
 Über die kunstvollen Türen der Villen
 An dein atmendes Herz geweht?

Kann das verzittern, wie – leiser und blasser,
 Eine sinkende Perlenschnur –
Der Mondglanz über das Wiegen der Wasser
 Hinrann ins Dunkel und ohne Spur?

Bleibt dir denn nichts vom Raunen der schwanken
 Zypressen hart an dem Ufergang
 Und dort von all den Träumergedanken,
 Eine Runde lang, eine Stunde lang?

Vielleicht nur ein Vers vom Wiegen des Windes
 Und blinde Sehnsucht zurück in die Zeit,
 Wie Duft gelöst in ein wehendes lindes
 Gefühl unsagbarer Zärtlichkeit.

Stefan Zweig
(geboren: 28. November 1881, Wien, Österreich -verstorben: 23. Februar 1942, Petrópolis, Rio de Janeiro, Brasilien)

Graz,Österreich
Graz,Österreich
Graz,Österreich
Graz,Österreich
Graz,Österreich
Graz,Österreich
Graz,Österreich

the center of Munich in July

Freedom is not possible without authority – otherwise it would turn into chaos and authority is not possible without freedom – otherwise it would turn into tyranny.
Stefan Zweig