Immer mehr wissen.
Mehr fühlen.
Ohne Ende.
Kein bis …
von Jeannette Paterakis







Barcelona,Spanien
Immer mehr wissen.
Mehr fühlen.
Ohne Ende.
Kein bis …
von Jeannette Paterakis







Barcelona,Spanien
Ich suche Trost im Wort,
das niemals noch mich trog,
das von den Dingen mir
getreu den Umriß zog,
wie durch ein Blatt ein Kind
die Fibel für sich paust,
die Bilder und den Sinn,
der zwischen ihnen haust.
Auf heller Straße täuscht
Gebärde und Gesicht,
ich trau des Nachbars Gruß,
dem Wort des Freundes nicht;
ich traue selbst nicht dem,
was ich soeben sprach,
nur, was ich schreibe,
zieht, was feststeht, richtig nach.
Nur an Geringes will
vorerst ich wagen mich,
an Dinge, die im Schlaf
ich traf auf einen Strich,
vielleicht im Fenster dort
an Flügelpaar und Zweig,
ans Pflaster, das gekörnt
sich wölbt von Steig zu Steig.
Wie der Holunder sich
zur Zeit der Blüte spreizt,
das ist so schmerzlich klar,
daß es zu Tränen reizt;
das üb ich, das bewährt
dem Ohr sich auch im Klang:
zu sagen ist so viel,
nun ist mir nicht mehr bang.
von Theodor Kramer
(* 1. Jänner 1897 in Niederhollabrunn, Österreich-Ungarn; † 3. April 1958 in Wien)







Barcelona,Spanien
Meine liebe Mutter du,
ich will dir Blumen schenken.
Was ich dir sagen will dazu,
das kannst du dir schon denken.
Ich wünsch dir Glück und Fröhlichkeit,
die Sonne soll dir lachen!
So gut ich kann und allezeit
will ich dir Freude machen.
Denn Muttertage, das ist wahr,
die sind an allen Tagen.
Ich habe dich lieb das ganze Jahr,
das wollte ich dir sagen.
von Ursula Wölfel
(* 16. September 1922 in Hamborn, heute Stadtteil von Duisburg; † 23. Juli 2014 in Heidelberg)







Barcelona,Spanien
Die drei Spatzen
In einem leeren Haselstrauch,
da sitzen drei Spatzen, Bauch an Bauch.
Der Erich rechts und links der Franz
und mittendrin der freche Hans.
Sie haben die Augen zu, ganz zu,
und obendrüber, da schneit es, hu!
Sie rücken zusammen dicht an dicht,
so warm wie Hans hat’s niemand nicht.
Sie hör’n alle drei ihrer Herzlein Gepoch.
Und wenn sie nicht weg sind, so sitzen sie noch.
von Christian Morgenstern.
(* 6. Mai 1871 in München; † 31. März 1914 in Untermais, Tirol, Österreich-Ungarn)








Barcelona,Spanien
von Susanna Ka
Ich brauche Strukturen.
Bei fließenden Übergängen bringe ich alles durcheinander.
Dann verliere ich die Orientierung,
meine Sicherheit.
Dann treibe ich ab in geistige Gefilde,
die mich zerstören können.
Ich brauche Strukturen.
Ein Lebensgitter,
an dem ich mich festhalten kann,
wenn die Energien um mich herum ins Fließen geraten,
wenn es zischt und brodelt,
saust und braust…
wenn die Grundfesten meines Luftschlosses
einfach weggespült werden
und meine kleine Welt in die Tiefe stürzt.
Wenn meine Gefühle einen Regentanz aufführen,
brauche ich einen Staudamm.
von Susanna Ka









Barcelona,Spanien
von Kurt Tucholsky
Wenn du zur Arbeit gehst
am frühen Morgen,
wenn du am Bahnhof stehst
Mit deinen Sorgen:
da zeigt die Stadt
dir asphaltglatt
im Menschentrichter
Millionen Gesichter:
Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick,
die Braue, Pupillen, die Lider –
Was war das? vielleicht dein Lebensglück …
vorbei, verweht, nie wieder.
Du gehst dein Leben lang
auf tausend Straßen;
du siehst auf deinem Gang,
die dich vergaßen.
Ein Auge winkt,
die Seele klingt;
du hasts gefunden,
nur für Sekunden …
Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick,
die Braue, Pupillen, die Lider;
Was war das? kein Mensch dreht die Zeit zurück …
vorbei, verweht, nie wieder.
Du mußt auf deinem Gang
durch Städte wandern;
siehst einen Pulsschlag lang
den fremden Andern.
Es kann ein Feind sein,
es kann ein Freund sein,
es kann im Kampfe dein
Genosse sein.
Es sieht hinüber
Und zieht vorüber …
Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick,
die Braue, Pupillen, die Lider.
Was war das?
Von der großen Menschheit ein Stück!
Vorbei, verweht, nie wieder.
von Kurt Tucholsky
(* 9. Januar 1890 in Berlin; † 21. Dezember 1935 in Göteborg)









Barcelona,Spanien
Wenn die Sonne weggegangen
Wenn die Sonne weggegangen,
Kömmt die Dunkelheit heran,
Abendrot hat goldne Wangen,
Und die Nacht hat Trauer an.
Seit die Liebe weggegangen,
Bin ich nun ein Mohrenkind,
Und die roten, frohen Wangen,
Dunkel und verschlossen sind.
Dunkelheit muß tief verschweigen,
Alles Wehe, alle Lust,
Aber Mond und Sterne zeigen,
Was ihr wohnet in der Brust.
Wenn die Lippen dir verschweigen
Meines Herzens stille Glut
Müssen Blicke und Tränen zeigen,
Wie die Liebe immer ruht.
Clemens Brentano
(* 9. September 1778 in Ehrenbreitstein (heute Koblenz), Kurtrier; † 28. Juli 1842 in Aschaffenburg, Königreich Bayern)












Barcelona,Spanien
Der Blick
Schaust Du mich aus Deinen Augen
lächelnd wie aus Himmeln an,
fühl′ ich wohl, daß keine Lippe
solche Sprache führen kann.
Könnte sie′ s auch wörtlich sagen
was dem Herzen tief entquillt,
still den Augen aufgetragen
wird es süßer nur erfüllt.
Und ich seh′ des Himmels Quelle,
die mir lang verschlossen war,
wie sie bricht in reinster Helle
aus dem reinsten Augenpaar.
Und ich öffne still im Herzen
alles, alles diesem Blick.
Und den Abgrund meiner Schmerzen
füllt er strömend aus mit Glück.
Joseph von Eichendorff
(* 10. März 1788 auf Schloss Lubowitz bei Ratibor, Oberschlesien; † 26. November 1857 in Neisse, Oberschlesien[1])










Barcelona,Spanien
Der Skeptiker spricht
Halb ist dein Leben um,
Der Zeiger rückt, die Seele schaudert dir!
Lang schweift sie schon herum
Und sucht und fand nicht — und sie zaudert hier?
Halb ist dein Leben um:
Schmerz war’s und Irrtum, Stund’ um Stund’ dahier!
Was suchst du noch? Warum? — —
Dies eben such’ ich — Grund um Grund dafür!
Friedrich Nietzsche








Barcelona,Spanien
Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen,
die sich über die Dinge ziehn.
Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen,
aber versuchen will ich ihn.
Ich kreise um Gott, um den uralten Turm,
und ich kreise jahrtausendelang;
und ich weiß noch nicht: bin ich ein Falke, ein Sturm
oder ein großer Gesang.
Rainer Maria Rilke
(* 4. Dezember 1875 in Prag, Österreich-Ungarn; † 29. Dezember 1926im Sanatorium Valmont bei Montreux, Schweiz; eigentlich René Karl Wilhelm Johann Josef Maria Rilke)










Barcelona,Spanien
Du bist nicht Gast. Du wohnst in mir.
Hast nicht nur Rast. Hast Bleibe hier.
Hier steht deine Wiege. Hier zäunt dein Geheg.
Hier steilt dir Stiege. Hier mündet dein Weg.
Hier hält dich Helle. Hier hüllt dich Nacht.
Im Brunn quickt Quelle. Speicher füllt Fracht.
Geh aus. Geh ein. Sei unverhofft.
Dein Haus dir offen. Komm gern. Komm oft.
Hans Schiebelhuth
(* 11. Oktober 1895 in Darmstadt; † 14. Januar 1944 in East Hampton, New York, USA)







Barcelona,Spanien
von Andreas Reiman
Tag in Barcelona
Wär ich gefahrn mit dem zuge, die landschaft
grad noch erhaschend, und also entfernung
als wandel begreifend! Wär mit dem schiffe
ich übergefahren, und also begreifend
entfernung als zeit! – Doch ich stieg
ins flugzeug, und wußte es vorher doch:
wer fliegt, der stürzt ab. Und erwachte
in der ordnung des wirbelsturms.
Und wußte auf einmal: ich wollte das leben
schon immer mir angeschehn lassen,
fast ohne ein zutun, wie die geburt.
Auch hätt‘ ich mich niemals zur wehr setzen müssen,
wär nicht so groß, so entschieden bescheiden
mein anspruch gewesen: ich wollte das gras
wachsen hören, und trinken den wein,
ohne dass eine bedrängnis
ihn in den becher mir goß.
Das leben: »Nimms einfach!«, so hieß es, und waren
die worte gedacht zur ermunterung stets:
hier waren sie endlich forderung auch.
Und abends die tänzer, die feuerwerksgarben,
pauken, tschinellen und cimbeln,
und gänzlich mit glitzern besprenkelt das meer
bis über die köpfe der heiteren, aber
unverwunderten leute!
Da stand ich erschüttert, und heulte
vor freude, freunde, und hemmungslos.
Und heulte, ach all ihr unwiderbringlich
verpaßten entfaltungen schmetterlingsgleich!,
vor wehmut desgleichen:
ein kind, und ein greis.
Andreas Reimann
(* 11. November 1946 in Leipzig)







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