Osterspaziergang

Vom Eise befreit sind Strom und Bäche,
Durch des Frühlings holden, belebenden Blick,
Im Tale grünet Hoffnungs-Glück;
Der alte Winter, in seiner Schwäche,
Zog sich in rauhe Berge zurück.
Von dort her sendet er, fliehend, nur
Ohnmächtige Schauer körnigen Eises
In Streifen über die grünende Flur;
Aber die Sonne duldet kein Weißes,
Überall regt sich Bildung und Streben,
Alles will sie mit Farben beleben;
Doch an Blumen fehlt’s im Revier,
Sie nimmt geputzte Menschen dafür.

Kehre dich um, von diesen Höhen
Nach der Stadt zurück zu sehen.
Aus dem hohlen finstern Tor
Dring ein buntes Gewimmel hervor.
Jeder sonnt sich heute so gern.
Sie feiern die Auferstehung des Herrn,
Denn sie sind selber auferstanden,
Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern,
Aus Handwerks- und Gewerbes Banden,
Aus dem Druck von Giebeln und Dächern,
Aus Straßen quetschender Enge,
Aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht
Sind sie alle ans Licht gebracht.

Sieh nur sieh! wie behend sich die Menge
Durch die Gärten und Felder zerschlägt,
Wie der Fluss, in Breit’ und Länge,
So manchen lustigen Nachen bewegt,
Und, bis zum Sinken überladen
Entfernt sich dieser letzte Kahn.
Selbst von des Berges fernen Pfaden
Blinken uns farbige Kleider an.
Ich höre schon des Dorfs Getümmel,
Hier ist des Volkes wahrer Himmel,
Zufrieden jauchzet gross und klein:
Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein.

Johann Wolfgang von Goethe 

* 28. August 1749 in Frankfurt am Main; † 22. März 1832 in Weimar

Karfreitag

Verhangener Tag, im Wald noch Schnee,
Im kahlen Holz die Amsel singt:
Des Frühlings Atem ängstlich schwingt,
Von Lust geschwellt, beschwert von Weh.

So schweigsam steht und klein im Gras
Das Krokusvolk, das Veilchennest,
Es duftet scheu und weiß nicht was,
es duftet Tod und duftet Fest.

Baumknospen stehn von Tränen blind,
Der Himmel hängt so bang und nah,
Und alle Gärten, Hügel sind
Gethsemane und Golgatha.

Hermann Karl Hesse, Pseudonym: Emil Sinclair

(* 2. Juli 1877 in Calw; † 9. August 1962 in Montagnola, Schweiz)

archäologische Stätte von Aptera ,Chania,Kreta,Griechenland

Die Lorelei

Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, Daß ich so traurig bin;
Ein Märchen ans alten Zeiten,
Das kommt mir nicht aus dem Sinn.

Die Luft ist kühl und es dunkelt, Und ruhig fließt der Rhein;
Der Gipfel des Berges funkelt Im Abendsonnenschein.

Die schönste Jungfrau sitzet Dort oben wunderbar,
Ihr goldnes Geschmeide blitzet, Sie kämmt ihr goldenes Haar.

Sie kämmt es mit goldenem Kamme, Und singt ein Lied dabei;
Das hat eine wundersame, Gewaltige Melodei.

Den Schiffer im kleinen Schiffe Ergreift es mit wildem Weh;
Er schaut nicht die Felsenriffe, Er schaut nur hinauf in die Höh’.

Ich glaube, die Wellen verschlingen Am Ende Schiffer und Kahn;
Und das hat mit ihrem Singen
Die Lorelei getan.

Christian Johann Heinrich Heine 

(* 13. Dezember 1797 als Harry Heine in Düsseldorf, Herzogtum Berg; † 17. Februar 1856 in Paris)

die archäologische Stätte von Aptera,Chania,Kreta,Griechenland