Das Leben ist ein Traum

Was ist Leben? Irrwahn bloß!

Was ist Leben? Eitler Schaum,

Trugbild, ein Schatten kaum,

Und das größte Glück ist klein;

Denn ein Traum ist alles Sein,

Und die Träume selbst sind Traum.

Pedro Calderón de la Barca

(* 17. Januar 1600 in Madrid; † 25. Mai 1681 ebenda) 

Barcelona,Spanien

Zwischen Bleiben und Verschwinden

Zwischen Bleiben und Verschwinden
schwankt hin und her der Tag,
versunken in den Spiegel
durchsichtiger Dämmerung.

Schon rundet sich das Abendmeer
zu einer Bucht,
in deren stillem Wellenschlag
die Welt sich wiegt.

Alles steht dir vor Augen,
und alles entzieht sich dir.
Alles ist zum Greifen nahe
und unfassbar zugleich.

Die Papiere und das Buch,
der Stift und das Glas –
unantastbar ruhen sie
im Schatten ihrer Namen.

Unerbittlich pochend
schreibt meinen Schläfen
die Zeit ihren Puls ein
mit Silben aus Blut.

Auf den Gleichmut der Mauer
zeichnet das flüchtige Licht
ein geisterhaftes Mosaik
aus flirrenden Gedankenbildern.

In der Mitte meines Auges
entdecke ich mich selbst.
Es sieht mich nicht, aber
ich sehe mich in seinem Blick.

Der Augenblick entschwindet.
Ohne mich zu rühren,
bleibe und verschwinde ich.
Ich bin eine Atempause.

Octavio Paz

(* 31. März 1914 in Mixcoac, heute Mexiko-Stadt; † 19. April 1998 ebenda)

Rosa Negra,Bracelona,Spanien

das Leben

GÓNGORA

Alt geworden der Andalusier, der allen Grund hat,
aaaaastolz zu sein,
Dichter, dessen hellsichtiges Wort wie Diamant,
Überdrüssig, seine Hoffnungen bei Hof zu
aaaaastrapazieren,
Überdrüssig seiner würdevollen Armut, die ihn
aaaaazwingt,
Das Haus bei Tag nicht zu verlassen, nur im
aaaaaAbenddämmer, wenn die Schatten,
Großmütiger als die Menschen,
Im üblichen fahlen Dunkel der Straßen
Den abgeschabten Flanell seiner Kutsche und seines Kleides fadenscheinigen Taft bereits verhehlen;
Überdrüssig, nach des Hochadels Gunstbezeigungen zu trachten,
Sein Stolz, gedemütigt vom beharrlichen Bitten,
Überdrüssig der so vielen auf der Jagd nach Reichtum
Vertanen Jahre fern von Córdoba, der flachen, und ihrer stolzen Mauer,
Kehrt er zurück zum heimatlichen Winkel, ruhig und schweigsam dort zu sterben.

Luis Cernuda (1902–1963)

Barcelona,Spanien

Vergnügen

Wenn ich dieses Vergnügen mit soviel Klugheit und Umsicht genieße, wird es für mich kein Vergnügen mehr sein.

Lope de Vega (1562 – 1635)

Barcelona,Spanien

Barcelona

Nach der Wahrheit gibt es nichts Schöneres als die Phantasie.

Antonio Machado (1875 – 1939)

Schweigen


Manche Leute verneigen
Sich gern vor Leuten, die ernsten Gesichts
Langdauernd schweigen.
Manche Leute neigen
Dazu, zu grollen, wenn andere schweigen.
Schonet das Schweigen. Es sagt doch nichts.


Quelle: Ringelnatz, Joachim (1932): Gedichte dreier Jahre. Ernst Rowohlt Verlag, Berlin. S. 77.

Joachim Ringelnatz 

(* 7. August 1883 in Wurzen als Hans Gustav Bötticher; † 17. November 1934 in Berlin)

Eftychis Paterakis,Jeannette Paterakis

Gouverneto,Chania,Akrotiri,Kreta,Griechenland

Was es ist

Es ist Unsinn

sagt die Vernunft

Es ist was es ist

sagt die Liebe

Es ist Unglück

sagt die Berechnung

Es ist nichts als Schmerz

sagt die Angst

Es ist aussichtslos

sagt die Einsicht

Es ist was es ist

sagt die Liebe

Es ist lächerlich

sagt der Stolz

Es ist leichtsinnig

sagt die Vorsicht

Es ist unmöglich

sagt die Erfahrung

Es ist was es ist

sagt die Liebe

Quelle: Fried, Erich (1990): Als ich mich nach dir verzehrte. Gedichte von der Liebe. Verlag Klaus Wagenbach,Berlin. 

Erich Fried 

(* 6. Mai 1921 in Wien; † 22. November 1988 in Baden-Baden)

Gouverneto ,Chania,Kreta ,Griechenland

An eine Quelle

Du kleine grünumwachsne Quelle,

An der ich Daphne jüngst gesehn!

Dein Wasser war so still! so helle!

Und Daphnes Bild darin, so schön!

Oh, wenn sie sich nochmal am Ufer sehen läßt,

So halte du ihr schönes Bild doch fest;

Ich schleiche heimlich denn mit nassen Augen hin,

Dem Bilde meine Not zu klagen;

Denn, wenn ich bei ihr selber bin,

Denn, ach! denn kann ich ihr nichts sagen.

Matthias Claudius
(15. August 1740 in Reinfeld(Holstein); † 21. Januar 1815 in Hamburg)

Kloster Gouverneto,Chania ,Kreta,Griechenland

Die Stadt

Am grauen Strand, am grauen Meer
Und seitab liegt die Stadt;
Der Nebel drückt die Dächer schwer,
Und durch die Stille braust das Meer
Eintönig um die Stadt.

Es rauscht kein Wald, es schlägt im Mai
Kein Vogel ohn Unterlass;
Die Wandergans mit hartem Schrei
Nur fliegt in Herbstesnacht vorbei,
Am Strande weht das Gras.

Doch hängt mein ganzes Herz an dir,
Du graue Stadt am Meer;
Der Jugend Zauber für und für
Ruht lächelnd doch auf dir, auf dir,
Du graue Stadt am Meer.

Theodor Storm . 1817-1888

Kalami,Chania,Kreta,Griechenland

Ostergruß


‘s ist Osterzeit! Wenn Du’s nicht wissen solltest,
So kündeten Dir’s Fink und Amsel an,
Und wenn Du diese nicht vernehmen wolltest,
So hätte es der Veilchenduft gethan,
Der süß berauschend – als ein Frühlingsbote
Aus einer lieblicheren Welt entschwebt –
Mit holden Wohlgerüchen die noch tote
Natur zum Auferstehungsfest belebt.

‘s ist Osterzeit! Wie Dich im Lenzgetriebe
Die Blumen grüßen und der Vöglein Schlag,
So grüßt Dich aus der Ferne heut’ in Liebe
Ein treues Herz zum frohen Ostertag;
Es wünscht dir ein beglückendes Versenken
In die an Wundern reiche Frühlingszeit
Und ein noch mehr gesegnetes Gedenken
Der uns geoffenbarten Herrlichkeit.

‘s ist Osterzeit! Nun wirf sie ab, die Sorgen,
Dem neuen Morgen hoffend zugewandt,
Und fühle Dich in dessen Hand geborgen,
Der die Erlösung für sein Volk erfand!
Gewiß, wie er ein tausendfaches Leben
In Wald und Flur jetzt wundermächtig schafft,
Wird er auch Deinem Herzen wieder geben
Der Osterhoffnung neue Lebenskraft.

Elisabeth Kolbe
(1864-1936)

Kalami,Chania,Kreta,Griechenland

Osterspaziergang

Vom Eise befreit sind Strom und Bäche,
Durch des Frühlings holden, belebenden Blick,
Im Tale grünet Hoffnungs-Glück;
Der alte Winter, in seiner Schwäche,
Zog sich in rauhe Berge zurück.
Von dort her sendet er, fliehend, nur
Ohnmächtige Schauer körnigen Eises
In Streifen über die grünende Flur;
Aber die Sonne duldet kein Weißes,
Überall regt sich Bildung und Streben,
Alles will sie mit Farben beleben;
Doch an Blumen fehlt’s im Revier,
Sie nimmt geputzte Menschen dafür.

Kehre dich um, von diesen Höhen
Nach der Stadt zurück zu sehen.
Aus dem hohlen finstern Tor
Dring ein buntes Gewimmel hervor.
Jeder sonnt sich heute so gern.
Sie feiern die Auferstehung des Herrn,
Denn sie sind selber auferstanden,
Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern,
Aus Handwerks- und Gewerbes Banden,
Aus dem Druck von Giebeln und Dächern,
Aus Straßen quetschender Enge,
Aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht
Sind sie alle ans Licht gebracht.

Sieh nur sieh! wie behend sich die Menge
Durch die Gärten und Felder zerschlägt,
Wie der Fluss, in Breit’ und Länge,
So manchen lustigen Nachen bewegt,
Und, bis zum Sinken überladen
Entfernt sich dieser letzte Kahn.
Selbst von des Berges fernen Pfaden
Blinken uns farbige Kleider an.
Ich höre schon des Dorfs Getümmel,
Hier ist des Volkes wahrer Himmel,
Zufrieden jauchzet gross und klein:
Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein.

Johann Wolfgang von Goethe 

* 28. August 1749 in Frankfurt am Main; † 22. März 1832 in Weimar

Karfreitag

Verhangener Tag, im Wald noch Schnee,
Im kahlen Holz die Amsel singt:
Des Frühlings Atem ängstlich schwingt,
Von Lust geschwellt, beschwert von Weh.

So schweigsam steht und klein im Gras
Das Krokusvolk, das Veilchennest,
Es duftet scheu und weiß nicht was,
es duftet Tod und duftet Fest.

Baumknospen stehn von Tränen blind,
Der Himmel hängt so bang und nah,
Und alle Gärten, Hügel sind
Gethsemane und Golgatha.

Hermann Karl Hesse, Pseudonym: Emil Sinclair

(* 2. Juli 1877 in Calw; † 9. August 1962 in Montagnola, Schweiz)

archäologische Stätte von Aptera ,Chania,Kreta,Griechenland